Wie der Name bereits andeutet, ermöglicht es das System der Tagespauschale, die Arbeitszeit bestimmter Angestellter in Tagen anstatt in Stunden zu berechnen. Diese Möglichkeit, die in den Gesetzen vom 19. Januar 2000, vom 2. August 2005 und vom 20. August 2008 schrittweise festgeschrieben wurde, muss in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung vorgesehen werden.
Am 25. November 2010 hat das Europäische Komitee für Sozialrecht entschieden, dass das französische System der Tagespauschale gegen europäisches Recht und dabei insbesondere gegen die Europäische Sozialcharta verstößt. Grund für diese Annahme ist der Umstand, dass das System stillschweigend eine unangemessene Wochenarbeitszeit von bis zu 78 Stunden gestattet, eine Kontrolle der Arbeitszeit nicht vorsieht und ein Recht auf eine faire Vergütung nicht garantiert.
In seinem sehr erwarteten Beschluss vom 29. Juni 2011 stellt das Kassationsgericht unter Berufung auf europäisches Recht aber auch auf das Grundrecht des Arbeitnehmers auf Gesundheit und Ruhezeit fest, dass ein Arbeitgeber die Vorgaben des Tarifvertrags der Metallindustrie hinsichtlich der Tagespauschale nicht eingehalten hatte.
Hiermit genehmigt das Kassationsgericht indirekt das System der Tagespauschale. Die höchstrichterliche Genehmigung ist jedoch insoweit begrenzt, als sie aufgrund der sehr strengen Vorgaben des in dieser Angelegenheit anwendbaren Tarifvertrages gilt. Hierunter fallen etwa die Kontrolle der Anzahl der Arbeitstage, eine jährliche Unterredung mit dem Angestellten über die Organisation seiner Arbeit, über seine Arbeitsbelastung sowie seine tägliche Arbeitszeit und eine kontinuierliche Überwachung dieser Organisation und Arbeitsbelastung durch den Arbeitgeber.
Es kann als sicher gelten, dass die künftige Rechtsprechung klären wird, wie diese Vorgaben im Einzelnen eingehalten werden können.
Von nun an aber müssen sich die Unternehmen folgenden Aufgaben annehmen:
– Primär müssen die jeweils geltenden tarifvertraglichen Vorgaben eingehalten werden.
– Für den Fall, dass detaillierte tarifvertragliche Regelungen nicht bestehen, müssen die Unternehmen Betriebsvereinbarungen aushandeln, die die Bedingungen für das System der Tagespauschale abschließend regeln. Die Ausgestaltung der Betriebsvereinbarungen kann sich dabei an den Vorgaben des Tarifvertrags der Metallindustrie orientieren, die vom Kassationsgericht gutgeheißen wurden.
– Sofern der Abschluss einer Betriebsvereinbarung nicht möglich ist, müssen einseitige Regelungen verabschiedet werden, um eine angemessene Arbeitszeit und Arbeitsbelastung gewährleisten zu können (hinsichtlich der Position des Kassationsgerichts, wonach dies Gegenstand der Kollektivvereinbarung sein muss, bleibt die Rechtssicherheit dieser Vorgehensweise allerdings fraglich).
In jedem Fall müssen die Unternehmen konkrete Maßnahmen ersuchen, um den Anforderungen des Kassationsgerichts gerecht zu werden, insbesondere hinsichtlich der Kontrolle der Arbeitsbelastung und der Sicherung einer ,, angemessenen“ Arbeitszeit, ohne aber die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden zu erfassen.
Die Wichtigkeit und Dringlichkeit dieser Maßnahmen kann man angesichts der drohenden Strafen, der fehlenden Einwendbarkeit der Tagespauschale und des Anspruchs auf Gehaltsnachzahlungen im Falle von Oberstunden (Überschreitung der 35 Stunden-Woche) nicht ausreichend betonen.
Dr. iur. Anne-Marie Sénéchal L’Homme