Nun ist es soweit: Durch Verordnung vom 10. Februar 2016 hat das französische Justizministerium die schon seit langem erwartete umfassende Reform des französischen Vertrags- und Schuldrechts beschlossen. Das neue Vertragsrecht soll vorbehaltlich der Bestätigung durch das französische Parlament, am 1. Oktober 2016 in Kraft treten. Es wird jedoch lediglich auf ab dem 1. Oktober 2016 abgeschlossene Verträge Anwendung finden.
Der entsprechende Teil des Code Civil war seit 1804 unverändert. Nun wird er in eine vollkommen veränderte Form gegossen. Die zukünftigen Vorschriften werden zahlreiche Bestimmungen des französischen Vertragsrechts vereinfachen und bieten insoweit interessante Möglichkeiten der Vertragsgestaltung. Andererseits werden neue, dem französischen Recht bisher unbekannte Konzepte eingeführt. Die Reform hat insgesamt ein positives Echo gefunden. Gleichzeitig werden einige der neuen Bestimmungen kritisch beurteilt, insbesondere wegen mangelnder Präzision der Vorschriften. Aufgrund der Reichweite der Reform ist es dringend zu empfehlen, sich schon jetzt mit den neuen Bestimmungen vertraut zu machen, und sich gut auf das neue Recht mit entsprechender Anpassung von Vertragsmodellen oder bestehenden Verträgen vorzubereiten.
Die Reform basiert im Wesentlichen auf drei Grundgedanken:
1. Das Schuld- und Vertragsrecht soll klarer und lesbarer werden.
Dies bedeutet im Wesentlichen, dass die Rechtsprechung, die sich im Laufe der Zeit entwickelt hatte, in den Code Civil aufgenommen wird. Gesetzestext ist jedoch etwas anderes als Rechtsprechung: Durch Nuancen in der Formulierung des Gesetzes können sich – teilweise sogar bewusst – Unterschiede zum heutigen Stand der Rechtsprechung ergeben, die im Detail zu analysieren sind.
2. Das Schuld- und Vertragsrecht soll sicherer und effizienter werden.
Vertragsparteien sollen Rechte einfacher und mit einer geringeren Intervention des Richters durchsetzen können, zB im Rahmen der Nichterfüllung von gegenseitigen Verträgen. Formalitäten werden erleichtert, so kann die Forderungsabtretung nicht mehr wie bisher nur durch formelle Zustellung durch Gerichtsvollzieher (oder schriftliche Zustimmung des Schuldners), sondern wie im deutschen Recht lediglich durch Vertrag zwischen dem alten und dem neuen Gläubiger bewirkt werden. Dies ist eine große Vereinfachung der zivilrechtlichen Forderungsabtretung.
3. Das Schuld- und Vertragsrecht soll die „schwächere Partei“ besser schützen.
Ein erklärtes Ziel der Reform ist auf der anderen Seite der Schutz der „schwächeren Partei“. Drei dieser – im Vorfeld des Verordnungserlasses stark debattierten – Vorschriften seien hier erwähnt:
- Der Missbrauch der Abhängigkeit einer Partei von der anderen kann zur Unwirksamkeit eines Vertrages führen.
- Neu eingeführt wird des Weiteren die Sanktion des „schweren Ungleichgewichts“ in „nicht verhandelten Verträgen“. Diese Bestimmung wird sehr stark kritisiert, denn es wird dadurch neben einer ähnlichen Vorschrift im französischen Handelsgesetzbuch, die lediglich zwischen Handelsleuten anwendbar ist, und einer weiteren im Verbrauchergesetzbuch, die jeweils schon eigene Regeln zum „schweren Ungleichgewicht“ enthalten, eine weitere, allgemeine zivilrechtliche Regelung geben. Dies wirft neben dem Problem der Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen auch die Frage des Verhältnisses der verschiedenen Regeln auf. Die Beurteilung des Ungleichgewichts darf sich allerdings weder auf die Preisfindung noch auf den Hauptvertragsgegenstand beziehen. Vertragsmodelle sollten daraufhin überprüft werden, ob sich hieraus ein Nichtigkeitsrisiko bestimmter Klauseln ergibt.
- Schließlich kann eine Vertragspartei nun bei Wegfall der Geschäftsgrundlage die Neuverhandlung des Vertrages verlangen. Den Richter können die Parteien bei Scheitern der Verhandlungen jedoch nur „einvernehmlich“ anrufen. Diese Bestimmung hat in der Fachliteratur ebenso starke Reaktionen hervorgerufen. Durch die Vertragsgestaltung kann jedoch die Anwendung dieser Bestimmung eingeschränkt werden.
Zahlreiche neue Vorschriften finden eine interessante Parallele im deutschen Recht. Einige dieser Aspekte werden im beiliegenden Artikel von Dr. iur. Antje Luke in französischer Sprache beleuchtet.