Anfang des Jahres hatte der französische Gesetzgeber den Gesetzesentwurf zum „Gesetz für Arbeit und zur Verbesserung des sozialen Dialogs sowie zur Förderung des beruflichen Werdegangs“ auf den Weg gebracht (sog. „El Khomri“ – Gesetz, BMH Avocats berichtete darüber im Less is More von März 2016).
Nach Monaten eines erbitterten Arbeitskampfes der Gewerkschaften wurde der Gesetzesentwurf auf Beschluss des Ministerrates dem Parlament unter Anwendung des Artikels 49.3 der französischen Verfassung vorgelegt. In Ermangelung einer parlamentarischen Zensur gilt der Gesetzesentwurf seit dem 20. Juli 2016 auch ohne entsprechende Abstimmung als verabschiedet.
Im Rahmen der Verhandlungen hatte der Gesetzgeber in entscheidenden Punkten folgende Konzessionen machen müssen:
- Die Möglichkeit, pauschale Vereinbarungen zur jährlichen Arbeitszeit auf Stunden- oder Tagesbasis auch ohne eine entsprechende Kollektivvereinbarung im Unternehmen umsetzen zu können, wurde gestrichen. Um mit dem Mitarbeiter eine dementsprechende individuelle Vereinbarung treffen zu können, bedarf es also auch weiterhin einer kollektivarbeitsrechtlichen Grundlage.
- Die zunächst geplante Beschränkung des Rahmens zur Beurteilung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf in Frankreich ansässige Unternehmen oder Niederlassungen wurde aus dem Gesetzesentwurf entfernt. Wie schon bisher, wird somit bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage nicht nur die Situation des Unternehmens in Frankreich, sondern die der Sparte, zu welcher das Unternehmen innerhalb einer international operierenden Unternehmensgruppe gehört, herangezogen.
- Im Hinblick auf die von den französischen Arbeitsgerichten im Rahmen einer Kündigungsschutzklage zugesprochenen Entschädigungszahlungen wurden die zunächst bestimmten Höchstgrenzen aus dem Gesetzesentwurf entfernt.
In seiner endgültigen Fassung führt das Gesetz aber dennoch zu ganz erheblichen Änderungen im französischen Arbeitsrecht, wie beispielsweise:
- Die vorrangige Geltung von Betriebsvereinbarungen in Bereichen, die nicht zu den zwingend durch tarifvertragliche Vereinbarungen oder gesetzlich zu regelnden Bereichen (z.B. Gleichbehandlung von Männern und Frauen, berufsbedingte Belastungen, etc.) gehören.
Im Hinblick auf die Arbeitszeit bestimmt das Gesetz allerdings schon von vornherein eine vorrangige Geltung der Betriebsvereinbarung. Dies betrifft insbesondere die maximal erlaubte tägliche (12 Stunden) und wöchentliche Arbeitszeit (46 Stunden über einen Zeitraum von 12 Wochen) sowie den Überstundenzuschlag. Dieser kann nunmehr durch eine Betriebsvereinbarung bestimmt werden, darf allerdings die Grenze von 10% nicht unterschreiten.
- Zur Tagespauschale (sog. forfait jours) werden dem Arbeitgeber künftig Mittel und Wege zur Verfügung gestellt, die die diesbezügliche Rechtsicherheit fördern sollen. In der Vergangenheit kam es immer häufiger zu Verurteilungen, da die Gerichte auf die Rechtswidrigkeit der dahingehenden kollektivarbeitsrechtlichen Vereinbarung erkannten, was automatisch auch eine Rechtswidrigkeit der darauf beruhenden Vereinbarung mit dem Mitarbeiter nach sich zog.
Nunmehr kann der Arbeitgeber eine aus Sicht der Gerichte unzureichende kollektivarbeitsrechtliche Vereinbarung durch eine entsprechende unternehmensinterne Arbeitsorganisation ausgleichen (z.B. jährliche Mitarbeitergespräche, Aufstellungen zur Arbeitszeit, Kontrolle der Arbeitsbelastung, Leitlinien zur Nutzung neuer Kommunikationsmittel).
- Betriebsbedingte Kündigungen betreffend bestimmt der Gesetzesentwurf mit Wirkung zum 1. Dezember 2016 ausdrückliche Beurteilungskriterien für wirtschaftliche Schwierigkeiten (z.B. Rückgang der Umsätze oder Bestellungen über einen bestimmten Zeitraum).
- Vereinfachung des Verfahrens zur Kündigung eines Mitarbeiters, dessen Arbeitsunfähigkeit festgestellt wurde.
Für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, berufsbedingt oder nicht, soll die zweite arbeitsärztliche Untersuchung abgeschafft werden. Des Weiteren genügt der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Suche nach Beschäftigungsalternativen schon, indem er dem Mitarbeiter ein den Vorgaben des Arbeitsarztes entsprechendes Angebot unterbreitet. Der Arbeitnehmer kann dem Arbeitgeber somit künftig nicht mehr vorwerfen, seine Suche nicht auf die gesamte Unternehmensgruppe ausgedehnt zu haben. Vermerkt der Arbeitsarzt auf der Bescheinigung, dass für den Mitarbeiter im Unternehmen keine Beschäftigungsalternativen bestehen, kann die Kündigung sogar ohne vorheriges Angebot einer Alternativstelle erfolgen.
Diese kurze Aufzählung kann selbstverständlich nur einen Teil der umfangreichen gesetzlichen Neuerungen berücksichtigen. So kommt es auch zu Änderungen bei den Bestimmungen zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen, zur Ausweitung des Kündigungsschutzes für Mitarbeiterinnen im Anschluss an den Mutterschaftsurlaub, zur Erhöhung der Stundenzahl für die Ausübung des Mandats des Gewerkschaftsvertreters im Unternehmen, zur Ausweitung der Haftung bei der internationalen Entsendung im Rahmen der Unterbeauftragungen , etc.
Zudem werden schon jetzt erste Fragen zur Auslegung des Gesetzes aufgeworfen (z.B. Beurteilung der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens bei betriebsbedingten Kündigungen). Wir raten daher dringend zu einer rechtlichen Bestandsaufnahme im Unternehmen, um die neuen Gestaltungsspielräume bestmöglich nutzen zu können und um Fallstricke zu vermeiden.
Dr. iur. Anne-Marie Sénéchal L’Homme und Constance Koch