Die Demonstrationen der „Gelbwesten“-Bewegung, die anfangs die Erhöhung der Umweltsteuern auf Kraftstoff zum Thema hatten, und die jüngsten Demonstrationen für das Klima haben Umwelt- und Energiefragen erneut in das Licht der öffentlichen Debatte gerückt. Einige Wochen vor Beginn der Proteste und Märsche hatte die französische Regierung die Kernpunkte der „Mehrjahresplanung der französischen Energiepolitik“ („Programmation pluriannuelle de l’Energie“, „PPE“) von 2019 bis 2028 vorgestellt. Vor einigen Wochen wurde ein Entwurf des „Decret PPE“ veröffentlicht, der detaillierte Leitlinien für die französische Energiepolitik in den nächsten zehn Jahren und darüber hinaus enthält. Dieses Papier soll einige Schlüsselelemente der „PPE“ in Bezug auf erneuerbare Energien und auf die Kernenergie hervorheben.
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„PPE“: „Haben Sie Vertrauen in die Entwicklung!”
Der Begriff und der Inhalt der „PPE“ werden zur Zeit in den Artikeln L. 141-1 ff. des französischen Energiegesetzbuches definiert und wurden zuletzt durch das Gesetz Nr. 2015-992 vom 17. August 2015 „über den Energiewechsel für das grüne Wachstum“ (Loi n° 2015-992 du 17 août 2015 „relative à la transition énergétique pour la croissance verte“) geändert. Zweck der „PPE“ ist, Leitlinien festzulegen und die Aktionsprioritäten der französischen Behörden für die Bewirtschaftung aller möglichen Energiequellen auf dem französischen Staatsgebiet festzulegen, um die Ziele der französischen Energiepolitik gemäß der Artikel L. 100-1, L. 100-2 und L. 100-4 des französischen Energiegesetzbuches zu erreichen. Die „PPE“ umfasst die folgenden Bereiche:
- Die Sicherheit der Energieversorgung;
- Die Verbesserung der Energieeffizienz und die Reduzierung des Primärenergieverbrauchs, insbesondere aus fossilen Brennstoffen;
- Die Entwicklung erneuerbarer Energien und Energiegewinnung;
- Die ausgewogene Entwicklung der Netze, der Speichersysteme, der Umwandlung von Energie und der Steuerung des Energiebedarfs um die lokale Energieerzeugung, die Entwicklung intelligenter Netze und den Eigenverbrauch voranzutreiben;
- Die Erhaltung der individuellen Kaufkraft des Verbrauchers und der Wettbewerbsfähigkeit der Energiepreise;
- Die Bewertung des Bedarfs an beruflichen Fähigkeiten im Energiebereich und die Anpassung der beruflichen Bildung an diesen Bedarf.
Die „PPE“ nimmt durch eine Reihe von ordnungspolitischen Maßnahmen Gestalt an, darunter
- Ein Dekret, in dem die Hauptziele der Energiepolitik und die Aktionsprioritäten festgelegt sind;
- Ein Dokument, das die strategischen Richtungen und Maßnahmen der „PPE“ zusammenfasst;
- Ein Bericht über den Inhalt der „PPE“;
- Eine strategische Umweltverträglichkeitsstudie.
Die „PPE“ spielt eine entscheidende Rolle bei der Definition der französischen Energiepolitik und damit auch bei der Umsetzung der öffentlichen Politik (z.B. über Raumordnung, Bauwesen im Allgemeinen):
- Alle öffentlichen Planungsdokumente und -strategien, die Leitlinien für Energie enthalten, müssen mit den in der „PPE“ dargelegten Zielen vereinbar sein;
- Quantitative Zielvorgaben der „PPE“ müssen immer bei der Durchführung von Ausschreibungen für Stromerzeugungsanlagen (insbesondere aus erneuerbaren Energiequellen), unterbrechbare Verbrauchseinrichtung oder Investitionen, welche die Einspeisung von Biogas in Transport- und Verteilungssysteme ermöglichen könnten, berücksichtigt werden;
- Die für die Inbetriebnahme einer Stromerzeugungsanlage zu beantragenden Genehmigungen müssen den in der „PPE“ genannten Zielen entsprechen. Gleiches gilt unter anderem für den im vergangenen Jahr von EDF angekündigten „Strategieplan“ im Photovoltaikbereich oder für das Zehnjahresprogramm zur Entwicklung des Stromtransportsystems;
- Die „PPE“ legt die Referenzniveaus für die Versorgungssicherheit des Strom- und Gassektors in Frankreich fest, sowie, was insbesondere das Gas betrifft, das Niveau der zu erhaltenden Speicherkapazität.
Das aktuelle „PPE“-Projekt ist in der Tat eine Überarbeitung der „PPE“ des Zeitraums von 2009 bis 2020. Der Überarbeitungsprozess wurde im Juni 2017 eingeleitet und vom „Monitoring Committee“ der „PPE“ durchgeführt, das sich aus 80 Vertretern der Gesellschaft zusammensetzt, von denen die meisten ein fundiertes Verständnis für Energiefragen aufweisen können. Zwischen März und Juni 2018 wurde eine „öffentliche Debatte“ organisiert und die Stellungnahmen der öffentlichen Referenzgremien und –ausschüsse für Energie- und Umweltfragen gesammelt. Derzeit wird über den Entwurf des „Decret PPE“ diskutiert, wobei das Datum der Veröffentlichung des Dekrets noch ungewiss ist.
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Und die Gewinner sind…
Solarenergie: Beginnend mit einer Gesamtleistung der Solaranlagen von ca. 9 GW im Jahr 2018 beabsichtigt die französische Regierung einen Anstieg der Leistung von bis zu 20,6 GW im Jahr 2023 und 35,6 bis 44,5 GW bis 2028. Um diese sehr ehrgeizigen Ziele zu erreichen, plant die französische Regierung zwei Ausschreibungen pro Jahr mit je 1 GW für Freiflächen-Solaranlagen und drei Ausschreibungen pro Jahr mit je 300 MW für gebäudeintegrierte Photovoltaik. Die Tatsache, dass die französischen Versorgungsriesen TOTAL und EDF massive Investitionsprogramme im Solarsektor angekündigt haben, spielte bei der Festsetzung dieser Ziele sicherlich eine wichtige Rolle.
On-shore Windenergie: Die französische Regierung hat sich ein Ziel von 24,6 GW im Jahr 2023 und 34,1 bis 35,6 GW im Jahr 2028 gesetzt. Im Jahr 2018 betrug der Anteil aus On-shore Windenergieanlagen an dem französischen Energiemix rund 15 GW. In ihrem Dokument, das die strategischen Richtungen und Maßnahmen der „PPE“ zusammenfasst, und in ihrem Bericht über die „PPE“ vertritt die Regierung die Auffassung, dass 6.500 neue Generatoren für Windkraftanlagen (WTGs) notwendig sein werden, um die Ziele zu erreichen. Sie machte auch deutlich, dass ein erheblicher Teil des Anstiegs der Windenergie auf den Austausch (d.h. das „repowering„) der sich derzeit in Betrieb befindlichen WTGs zurückzuführen sein wird, deren PPAs in den kommenden Jahren auslaufen werden.
Wasserkraft: Der Anteil der Stromerzeugung aus Wasserkraftwerken wird 2023 voraussichtlich 25,7 GW (einschließlich Gezeitenenergie) betragen, was einem Anstieg von…0% gegenüber 2018 entspricht. Die Problematik der Wasserkraftnutzung ist eine andere: Obwohl die französische Regierung seit vielen Jahren von der Europäischen Kommission bei der Erneuerung der Wasserkraftwerkskonzessionen der wichtigsten Wasserkraftwerke überwacht wird, bleibt der Zeitplan für die Erneuerung, der sich schon um ein Vielfaches verzögert hat, unklar. Die französische Regierung hat kürzlich zwei Dekrete veröffentlicht (Nr. 2019-211 und 2019-212 vom 20. März 2019, welche die administrative Behandlung einiger sich an den gleichen Flüssen befindlicher Wasserkraftwerke „umstrukturieren“), die de facto zu einer Vertagung der bestehenden Konzessionen (meist von ENGIE oder EDF betrieben) im Austausch für bedeutende Investitionen der derzeitigen Konzessionsinhaber führen. Es ist ungewiss, ob die Europäische Kommission diesen Mechanismus positiv bewerten wird (vorausgesetzt, sie wurde nicht vorher konsultiert).
Atomkraft: Auf den ersten Blick mag es überraschen, eine Energiequelle zu den „Gewinnern“ zu zählen, deren Anteil an der französischen Stromverteilung bis 2035 von 75% auf 50% gesenkt wird. Jedoch sollte sich vor Augen gehalten werden, dass nach dem Gesetz Nr. 2015-992 vom 17. August 2015 „über den Energiewechsel für ein grünes Wachstum“ eine Reduzierung auf 50% bis 2025 hätte erreicht werden müssen. Der Umstand, dass das Tempo der Reduzierung verringert wurde, ist an sich schon ein Erfolg für die französische Atomindustrie. Dennoch müssen in dieser zehnjährigen „Gnadenfrist“ 14 Kernreaktoren abgeschaltet werden. Die Abschaltung der ersten beiden Reaktoren des Kernkraftwerks Fessenheim ist für das Frühjahr 2020 geplant, sofern der EPR-Reaktor in Flamanville bis dahin in Betrieb genommen wird. Da die Reduzierung des Anteils der Kernenergie an dem französischen Energiemix im Gesetz verankert ist, muss in den kommenden Monaten ein neues Gesetz verabschiedet werden, das auch diese neue Verzögerung berücksichtigt.
„Innovative“ Energiequellen: von Biokraftstoffen und erneuerbarer Wärme über Wasserstoff und Gaskraft, zielt das „Decret PPE“ darauf ab, alternative Energiequellen oder einige Energiequellen zu fördern, die in der Vergangenheit vernachlässigt wurden. Besonderes Augenmerk wird auf Wasserstoff und Gaskraft gelegt, darunter ein Ziel von 5.000 leichten Nutzfahrzeugen im Jahr 2023 und 20.000 bis 50.000 bis 2028.
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Diejenigen, die Federn gelassen haben…
Offshore-Windenergie: Man sollte sich daran erinnern, dass Frankreich, so seltsam es auch erscheinen mag, zwar das zweitgrößte Potenzial für Offshore-Windenergie in Europa hat, jedoch zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Papiers noch keinen Offshore-Windpark in Betrieb hat. Im Gegensatz dazu installierte Großbritannien im Jahre2018 1,3 GW (dazu 1,1 GW im ersten Halbjahr) und erreichte die 6 GW-Marke, während Dänemark fast 1,5 GW an installierten Offshore-Windparks hat und nach neuen Gebieten sucht, um seine zukünftigen Ausschreibungen durchzuführen. Da die französische Regierung 2018 eine deutliche Senkung der Einspeisevergütung für die bereits bewilligten Offshore-Windparks erwirken konnte und noch mehr Anstrengungen für die Windparkprojekte verlangt, die 2019 in Dünkirchen (max. 70 €/MWh) und ab 2020 in anderen Gebieten (65 €/MWh) vergeben werden, rückt Frankreich damit bei der Offshore-Windenergie weiterhin nur zögerlich vor. Die Ziele der Offshore-Windenergie erscheinen insofern relativ zurückhaltend: 2,4 GW im Jahr 2023 und zwischen 4,7 und 5,2 GW im Jahr 2028. Diese Ziele beinhalten auch den Bau schwimmender Windkraftanlagen: für diese Technologie sind bis 2025 mindestens drei Ausschreibungen mit einer Leistung von jeweils 750 MW geplant. Im Jahr 2025 ist eine weitere Ausschreibung von 500 MW geplant, die sowohl schwimmende als auch konventionelle Offshore-Windenergieanlagen nach den bis dahin geltenden Tarifen zum Ziel hat.
Erdgas/Biogas: Es ist eine Untertreibung zu sagen, dass Gas im Allgemeinen „seine Haut retten“ konnte, wenn man sich das ursprüngliche „PPE“-Projekt ansieht, bei dem der Gasanteil an der französischen Energie bis 2028 um fast 2/3 reduziert werden sollte. Schließlich ist der Rückgang des Gases bis 2028 auf 19% begrenzt (420 TW Stunden verglichen mit 493 TW Stunden im Jahr 2017). Die zusammenfassende Unterlage der „PPE“ macht deutlich, dass Erdgas langfristig durch Biogas ersetzt werden muss, da dieses zahlreiche Vorteile bietet (einfache Speicherung, Zusatzeinkommen für Landwirte, Abfallverwertung und Kreislaufwirtschaft, effizientes und modernes Transportsystem). Gleichzeitig wären die Produktionskosten von Biogas laut der zusammenfassenden Unterlagen der „PPE“ viermal höher als bei Erdgas. Daraus ergibt sich der allgemeine Grundsatz, dass sich das Tempo des Baus von Biogasproduktionsanlagen an den Rückgang der Bau- und Betriebskosten dieser Anlagen anpassen wird. Ziel der französischen Regierung ist es, den Anteil von Biogas am Gesamtgasverbrauch bis 2030 auf 7% zu erhöhen, wenn die Produktionskosten für ins Netz eingespeistes Biogas im Jahr 2023 auf 67 €/MW pro Stunde (Brennwertbasis) und im Jahr 2028 auf 60 €/MW pro Stunde (Brennwertbasis) gesenkt werden, was gegenüber den aktuellen Produktionskosten ein Rückgang von ca. 30 bis 40% wäre. Wenn die Produktionskosten stärker sinken, könnte das Ziel von 7% auf 10% angehoben werden. Es sei darauf hingewiesen, dass die staatlichen Ambitionen bei der Stromerzeugung aus Biogas sehr begrenzt sind: Die Leistung beliefe sich bis 2023 auf 0,27 GW und bis 2028 auf 0,34 bis 0,41 GW. Daraus kann geschlossen werden, dass die Stromerzeugung aus Biogas für die direkte Einspeisung von Biogas in die Gastransport- und Verteilungssysteme nahezu aufgegeben wird.
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Um die Ziele ihrer „PPE“ zu erreichen, hat die französische Regierung eine Reihe neuer Maßnahmen vorgestellt, die noch durch andere Regulierungsinstrumente präzisiert werden müssen. Der Verlauf scheint genau geplant zu sein, doch sollte dennoch der Entwurf des Energiegesetzes im Auge behalten werden, der in den kommenden Wochen vor dem französischen Parlament diskutiert wird. Eine verbleibende Unsicherheit bleibt in Bezug auf die Hauptannahme, auf der die gesamte „PPE“ aufgebaut wurde, d.h. eine Stagnation oder ein leichter Anstieg des Strombedarfs in Frankreich. Diese Annahme erscheint sehr fragwürdig, wenn man auf die jüngere Geschichte des Stromverbrauchs in Frankreich zurückblickt. Die Zukunft wird zeigen, ob diese Annahme passend ist oder nicht.