Einer der Brennpunkte bei Verhandlungen über den Abschluss von Verträgen nach französischem Recht ist die Klausel zur Haftungsbeschränkung.
Die Kluft zwischen den Interessen der Parteien ist hier besonders groß: Der Auftraggeber besteht in aller Regel auf einer unbeschränkten Haftung des Auftragnehmers, insbesondere bezüglich der finanziellen Folgeschäden einer Nicht- oder Schlechterfüllung des Vertrags. Dem Auftragnehmer hingegen ist es gerade daran gelegen, seine Haftung – insbesondere für die besagten finanziellen Folgeschäden – so weit wie rechtlich möglich einzuschränken, um die Risiken überschaubar zu halten und um nicht mit jedem neuen Auftrag das Überleben seines Unternehmens aufs Spiel zu setzen.
In diesem Interessenkonflikt wird oftmals auch die vermeintliche Unwirksamkeit der vom Auftragnehmer vorgeschlagenen Klausel zur Haftungsbegrenzung angeführt.
Deshalb sei hier zunächst einmal festgehalten, dass in Verträgen nach französischem Recht ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung grundsätzlich zulässig sind. Gleichwohl gibt es hierzu wiederum Einschränkungen:
1) Eindeutig unwirksame Haftungsbeschränkungen
Eine vertragliche Haftungsbeschränkung ist immer unwirksam:
- bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung vertraglicher Pflichten[1],
- gegenüber Verbrauchern[2],
- für außervertragliche Haftungsansprüche wegen unerlaubter Handlung[3],
- für Personenschäden[4],
- in Fällen der Produkthaftung[5].
Die Unmöglichkeit eine Haftungsbeschränkung zu vereinbaren kann sich ferner auch aus besonderen Regelungen für bestimmte Vertragsarten ergeben, insbesondere betrifft dies die Baumängelhaftung und die Haftung aus den verschiedenen Arten von Transportverträgen.
2) Haftungsbegrenzung und wesentliche Vertragsverpflichtung
Die Frage der Wirksamkeit von Haftungsbeschränkungen in Gegenwart der Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht ist Gegenstand einer umfangreichen Rechtsprechung der Kammer für Handelssachen der Cour de Cassation[6].
Im Rahmen der Schuldrechtsreform im Jahre 2016 hat der Gesetzgeber dann in Artikel 1170 Code civil (neu) folgende Bestimmung aufgenommen:
„Jegliche Klausel, die einer wesentlichen Vertragspflicht ihre Substanz entzieht, gilt als ungeschrieben“
Diese neue gesetzliche Bestimmung ist weit gefasst und zielt nicht nur auf vertragliche Haftungsbegrenzungen ab. Diese Reform wurde aber von den Kommentatoren (auch) als Kodifizierung der Rechtsprechung zur Haftungsbegrenzung in Gegenwart der Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht begrüßt.
In Anwendung dieser Bestimmung kann als Regel festgehalten werden, dass eine Haftungsbeschränkungsklausel in Gegenwart der Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht nicht per se unwirksam ist, diese aber unwirksam sein kann, wenn hierdurch der wesentlichen Vertragspflicht die Substanz entzogen wird.
Da es bislang kaum belastbare Rechtsprechung zu Artikel 1170 (neu) Code civil gibt, muss die Tragweite dieser Regel auch vor dem Hintergrund der alten Rechtsprechung beurteilt werden:
- Was ist eine „wesentliche Vertragspflicht“?
Eine Legaldefinition des Begriffes gibt es nicht. Nach Rechtsprechung und Lehre handelt es sich um diejenigen Verpflichtungen, ohne die der Vertrag wirtschaftlich nicht bestehen kann. Mit anderen Worten handelt es sich um jene Verpflichtungen, die für die jeweils andere Partei für den Vertragsabschluss auschlaggebend waren.
- Wann wird einer wesentlichen Vertragspflicht die Substanz entzogen?
Ein solcher Substanzverlust liegt vor, wenn die Schlecht- oder Nichterfüllung einer wesentlichen Pflicht im Ergebnis ohne Konsequenzen bleibt: eine Haftungsbegrenzung darf nicht dazu führen, dass der Gläubiger der verletzten wesentlichen Vertragspflicht mit leeren Händen dasteht.
Es liegt auf der Hand, dass es zur Beurteilung einer Haftungsbegrenzung in Gegenwart einer wesentlichen Vertragspflicht immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalles ankommt. Die Richter stellen hierbei nicht nur auf den Wortlaut des Vertrages, sondern auch auf den Parteiwillen ab.
Die Erkenntnisse aus der zweiten Faurecia-Rechtsprechung[7] sind hierbei von großer Bedeutung. Hiernach wird einer wesentlichen Vertragspflicht nicht die Substanz entzogen, falls der Haftungsbeschränkung eine Gegenleistung gegenübersteht. Im fraglichen Urteil haben die Richter auf den im Gegenzug zur Haftungsbeschränkung gewährten Preisnachlass abgestellt und ebenfalls hervorgehoben, dass die betragliche Höchstgrenze der Haftungsbeschränkung nicht unverhältnismäßig niedrig war.
Aus einer Entscheidung der Kammer für Handelssachen des Kassationsgerichtshofes aus Januar 2020[8] – gleichwohl ergangen auf der Grundlage der Gesetzeslage vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform – ergibt sich ferner, dass der Ausschluss der Haftung für bestimmte Schäden, in diesem Fall Vermögenschäden, auch in Gegenwart der Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht zulässig ist, da hierdurch die Pflicht zur Erfüllung der wesentlichen Vertragspflicht nicht berührt wurde.
Laut der Lehre soll die alte Rechtsprechung in Artikel 1170 (neu) des Code civil kodifiziert worden sein. Eine gegenteilige Entscheidung nach neuem Recht erging bislang nicht. Insofern müssen die Erkenntnisse aus der alten Rechtsprechung, insbesondre aus der Entscheidung Faurecia II, nach wie vor als Leitfaden für die Erstellung und Verhandlung von Haftungsbegrenzungsklauseln dienen.
3) Haftungsbegrenzung und „vertragliches Ungleichgewicht“
Haftungsbegrenzungen können auch unter dem Blickwinkel des „signifikanten vertraglichen Ungleichgewichts“ angegriffen werden:
Nach französischem Recht ist es einem Vertragspartner untersagt, dem anderen Vertragspartner Verpflichtungen aufzuzwingen, aus denen ein signifikantes Ungleichgewicht in Rechten und Pflichten der Parteien resultiert:
- Für Verträge zwischen Kaufleuten ergibt sich dies aus Artikel L 442-1, I, 2° des Code de commerce. Es handelt sich bei dieser Bestimmung um einen besonderen Tatbestand der außervertraglichen Haftung aus unerlaubter Handlung. Dies bedeutet, dass diejenige Partei, die sich einem solchen Zwang ausgesetzt sieht, gegenüber der anderen Partei Ansprüche auf Schadenersatz gelten machen kann.
- Die bereits erwähnte Schuldrechtrechtsform aus dem Jahre 2016 hat den Begriff des „signifikanten Ungleichgewichts“ nunmehr auch im neuen Artikel 1171 des Code civil übernommen. Hiernach gelten Bestimmungen in nicht verhandelbaren Verträgen (gemeint sind AGB), aus denen eine solches Ungleichgewicht resultiert, als ungeschrieben.
Selbst wenn die Rechtsfolgen der beiden vorstehend skizzierten Regelungen nicht identisch sind, führen beide gegebenenfalls in praktischer Hinsicht zu demselben Ergebnis: Die Haftungsbegrenzung entfällt[9].
4) Ausblick – anstehende Reform des Haftungsrechtes
Spätestens seit Verabschiedung der Schuldrechtsreform wird über eine Reform des Haftungsrechtes diskutiert. Im Juli diesen Jahres wurde ein erster Entwurf von drei Abgeordneten des Oberhauses des französischen Parlaments vorgelegt. Über diesen Entwurf wird derzeit in den Kommissionen des Parlaments diskutiert.
Was Haftungsbegrenzungen betrifft, sieht der Entwurf vor, in Artikel 1284 bis 1286 (neu) Code civil nunmehr ausdrücklich zu bestimmen, dass solche Klauseln grundsätzlich wirksam sind, es sei denn, das Gesetz sieht etwas anderes vor. In den neuen Artikeln des Code civil selber soll dann bestimmt sein, dass die Haftung für Personenschäden, die Haftung bei Vorsatz oder grober Verletzung sowie aus unerlaubter Handlung jedoch nicht vertraglich ausgeschlossen oder beschränkt werden darf.
Soweit es bei der derzeit vorgeschlagenen Formulierung bleibt, würde die Reform des Haftungsrechtes in Bezug auf vertragliche Haftungsbegrenzungen letztlich auf eine Kodifizierung der derzeit aus Rechtspreche und Lehre resultierenden Regeln hinauslaufen.
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[2] Artikel R. 212-1, 6° Code de la consommation
[3] ständige Rechtsprechung, zuletzt Cass. Civ. I, 05.07.2017, n° 16-13.407, anders gleichwohl in Fällen außervertraglicher Haftung mit gesetzlicher Verschuldungsvermutung oder verschuldensunabhängiger Haftung
[4] Verbot resultiert letztlich aus der Unmöglichkeit der vertraglichen Einschränkung der Haftung aus unerlaubter Handlung
[5] Artikel 1245-14 Code civil
[6] Insb. Chronopost I, 22.10.1996, Chronopost II, 09/07/2002, Chronopost III, 22.04.2005, Chronopost IV, 30.05.2006, Chronopost V, 13.06.2006, Faurecia I, 13.02.2007 und Faurecia II, 29.06.2010
[7] Faurecia II, Cass. Com. 29.06.2010
[8] Cass Com 15.01.2020, Nr. 18-22.734
[9] Gleichwohl gibt es derzeit offensichtlich keine Kasuistik zur Anwendung dieser Bestimmungen auf Haftungsbegrenzungen in B to B Verträgen
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