Mit dem Erlass Nr. 2017-1387 vom 22. September 2017 führte die Regierung eine Tabelle zur Festsetzung der Entschädigung ein, die das Unternehmen dem Arbeitnehmer zahlen muss, wenn dessen Entlassung als unbegründet[1] angesehen wird.
Nach diesem als „Macron-Tabelle“ bezeichneten Index muss die Höhe der von den Richtern gewährten Entschädigung zwischen einer Untergrenze und einer Obergrenze liegen, die im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Mitarbeiters festgelegt ist.
Die „Macron-Tabelle“ verringert somit die Unsicherheiten, die mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses verbunden sind und trägt dazu bei, die dabei entstehenden finanziellen Risiken einzuschätzen.
Bereits im Jahr 2018 schlossen mehrere Arbeitsgerichte die Anwendung der „Macron-Tabelle“ unter der Begründung aus, dass diese keine adäquate und angemessene Entschädigung für den dem Arbeitnehmer entstandenen Schaden biete und deshalb nicht mit drei internationalen Texten konform sei: der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Europäischen Sozialcharta und dem Übereinkommen Nr. 158 der Internationalen Arbeitsorganisation.
In mehreren Stellungnahmen vom 17. Juli 2019 erklärte der Kassationshof die „Macron-Tabelle“ für konform mit den oben genannten internationalen Texten.
Seit diesen nicht zwingenden Stellungnahmen haben einige Gerichte die Anwendung der „Macron-Tabelle“ ausgeschlossen, andere hingegen haben diese strikt angewandt.
In einem Urteil vom 22. Juli 2019 vertrat das Arbeitsgericht Grenoble die Auffassung, dass die „Macron-Tabelle“ in den ihm vorgelegten Fall nicht angewendet werden könnte, da diese keine ausreichende Entschädigung biete.
Nach der „Macron-Tabelle“ hätte die Mitarbeiterin aufgrund ihres Dienstalters von 11 Jahren und 11 Monaten einen Anspruch auf eine maximale Abfindung von 11 Monatsgehältern (vorliegend ca. 23.000 €) gehabt. Das Arbeitsgericht gewährte der Arbeitnehmerin jedoch eine Abfindung in Höhe von ca. 16 Monatsgehältern (35.000 €) zum einen mit der Begründung im Hinblick auf die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit und ihr Alter (55 Jahre) was den Schluss nahelegen würde, dass sie ihren Arbeitsvertrag bis zur Rente fortgeführt hätte. Zum anderen wurde hier geurteilt, dass die Mitarbeiterin aufgrund ihrer geringen Qualifikation Schwierigkeiten haben würde, eine neue Stelle zu finden.
In einer Entscheidung vom 25. September 2019 hat das Berufungsgericht Reims die Tabelle auf den ihr vorgelegten Fall angewandt, hier jedoch festgestellt, dass es von dieser abgewichen wäre, wenn diese dem Arbeitnehmer keine adäquate und angemessene Entschädigung für den ihm entstandenen Schaden erlaubt hätte.
Mit Entscheidung vom 30. Oktober 2019 scheint das Pariser Berufungsgericht sich den Stellungnahmen des Kassationsgerichtshofs mit folgender Formulierung angeschlossen zu haben:
„Die Festlegung einer Tabelle an sich steht nicht im Widerspruch zu den fraglichen Texten (…), die den Staaten auferlegen, im Falle einer ungerechtfertigten Entlassung dem Arbeitnehmer eine „adäquate Entschädigung oder eine angemessene Wiedergutmachung“ zu garantieren, wobei das französische Gericht im Rahmen der Mindest- und Höchstbeträge, die aufgrund der Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers und der Größe der Belegschaft des Unternehmens festgelegt werden, ein Ermessensspielraum eingeräumt wird. »
Die divergierenden Gerichtsentscheidungen und die Infragestellung der Obergrenzen der „Macron-Tabelle“ führen zu einer erneuten Verunsicherung in Bezug auf die Kosten einer Entlassung.
Je nach angerufenen Gericht und Schaden des Arbeitnehmers könnte die Höhe der Entschädigung höher ausfallen als der von der „Macron-Tabelle“ vorgesehene Höchstbetrag, ohne dass dieses vorhersehbar gewesen wäre.
Nur ein Urteil (und nicht mehr nur eine Stellungnahme), mit dem der Kassationshof die Tabelle als mit internationalen Texten konform erklärt, würde dieser Situation ein Ende setzen.
Diese letzte Etappe in dem turbulenten Epos der „Macron-Tabelle“ würde wieder ein Element der Berechenbarkeit des Höchstbetrages der Entschädigung einführen, die einem Arbeitnehmer gewährt wird, dessen Entlassung als ohne realen und ernsthaften Grund angesehen wird.
Vergessen wir jedoch nicht, dass der Kassationshof, selbst wenn er die „Macron-Tabelle“ retten würde, der für die Unternehmen belastenden Unvorhersehbarkeit kein Ende setzen würde: der Unvorhersehbarkeit, die von der Beurteilung der Richter abhängt, ob eine Entlassung gerechtfertigt ist oder nicht.
[1] Nach dem französischen Arbeitsgesetz ist im Falle der Anfechtung einer Kündigung zu überprüfen, ob der Kündigungsgrund „real“ gegeben ist (also faktisch vorliegt) und ob er so „ernsthaft“ ist, dass er die Kündigung rechtfertigt.
Isabelle Le Coq, Andrea Linne, Adel Labadi