Im Rahmen der Modernisierung des französischen Justizsystem wurde ein Jahr nach dem Erlass des Protokolls für die Internationale Kammer des Pariser Handelsgerichts, am 7. Februar 2018 für diese Kammer eine Berufungsinstanz bei der Pariser Cour d’Appel errichtet.[1] Anfang 2018 wurde die Internationale Kammer der Pariser Cour d’Appel nach Vorbild der Internationalen Kammer des Pariser Handelsgerichts mit mehrsprachigen Richtern besetzt und konnte in der Folge ihre Tätigkeit aufnehmen.[2] In beiden Instanzen können die Parteien eine Reihe von Verfahrenstechniken bzw. Verfahrens-erleichterungen vereinbaren, die sich im Rahmen internationaler Schiedsverfahren bewährt haben, wie z.B. das Verfahren in Teilen auf Englisch zu führen, Zeugen und Sachverständige im Kreuzverhör zu befragen oder über einen verbindlichen Verfahrenskalender zu verfügen.
Nachdem die Internationale Kammer des Handelsgerichts bereits ab 2017 mit zehn mehrsprachigen Richtern besetzt worden war, ist es auch auf Ebene der Cour d’Appel gelungen, die dortige Internationale Kammer 2018 zügig mit drei mehrsprachigen Berufsrichtern zu besetzen.[3] Beide Kammern sind voll funktionsfähig und weisen bereits eine ganze Reihe anhängiger Verfahren auf.
Nach eigener Aussage ist Sinn und Zweck der neuen Internationalen Kammern nicht, mit der Schiedsgerichtsbarkeit zu konkurrieren, sondern das bestehende Verfahren vor den Handelsgerichten besser auf internationale Verfahren auszurichten und zuzuschneiden.
Die den Parteien zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten wurden für beide Instanzen in Form zweier im Wesentlichen identischen Protokolle niedergeschrieben, mit folgendem Inhalt:
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Zuständigkeit:
Die beiden Kammern sind grundsätzlich für alle wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten zuständig, die einen internationalen Bezug aufweisen.[4] Die Zuständigkeit kann durch vertragliche Vereinbarung der Parteien wie folgt begründet werden:
„Sämtliche Streitigkeiten, die zwischen den Parteien im Zusammenhang mit der Gültigkeit, der Interpretation und der Durchführung des vorliegenden Vertrags entstehen oder die sich generell aus dem vorliegenden Vertrag ergeben, werden in erster Instanz von der Internationalen Kammer des Pariser Handelsgerichts und in zweiter Instanz von der Internationalen Kammer der Pariser Cour d‘Appel entschieden.“
Anders als im Protokoll für das erstinstanzliche Verfahren sieht das Protokoll für das zweitinstanzliche Verfahren vor der Cour d’Appel vor, dass sich die Parteien im Prinzip darauf einigen müssen, dass die im Protokoll vorgesehenen Verfahrenstechniken und Verfahrenserleichterungen tatsächlich zur Anwendung kommen.[5] Es bleibt abzuwarten, wie mit diesem Erfordernis in der Praxis, umgegangen wird. Jedenfalls sollte in Fällen, in denen sich die Parteien bereits im Vorfeld ausdrücklich auf die Zuständigkeit der Kammer geeinigt haben, das Einverständnis der Parteien automatisch vorausgesetzt werden können.
Weiter ist zu begrüßen, dass die Kammern auch für vorläufige Rechtsschutzverfahren („référé“) zuständig sind.
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Verfahrenstechniken und Verfahrenserleichterungen
– Verfahrenskalender: Normalerweise wird von Seiten des Gerichts vor allem in der ersten Instanz nur von einem Termin bis zum jeweils nächsten Termin geplant und es besteht zumindest aus Sicht des Klägers die Gefahr mehrmaliger Vertagungen. Dem wird hier durch die Erstellung eines straffen und umfassenden Verfahrenskalenders abgeholfen, der insbesondere verbindliche Termine für den Austausch von Schriftsätzen, die mündliche Verhandlung und den Urteilserlass aufweist und anhand dessen sich deshalb auch in einem relativ frühen Stadium die Gesamtdauer des Verfahrens absehen lässt. Des Weiteren ist hervorzuheben, dass der Verfahrenskalender nicht etwa einseitig vom Gericht festgesetzt wird, sondern im Rahmen eines Besprechungstermins mit den Parteien erörtert und gemeinsam ausgearbeitet wird.
– Sprachliche Erleichterungen: Auf Englisch verfasste Schriftstücke können ohne Übersetzung eingereicht werden; Zeugen, Gutachter und Anwälte können sich auf Englisch ausdrücken, gegebenenfalls mit französischer Simultanübersetzung; Gerichtsbeschlüsse werden nur auf Französisch verfasst, wobei automatisch eine englische Übersetzung des Urteils angefertigt wird.
– Zeugeneinvernahme: Hier wurde mit der Möglichkeit der Einvernahme von Zeugen und Sachverständigen[6] durch den Richter ein wirkliches Novum geschaffen, denn in Frankreich wird dies ansonsten in Abweichung von der Praxis anderer Länder nicht praktiziert.[7] Weiter sind Zeugen und Sachverständige wie in einem Schiedsverfahren gehalten, im Vorfeld eine schriftliche Zeugenaussage zu machen.[8] Hinzukommt, dass die Parteien bei der Bestimmung der zu vernehmenden Personen mit eingebunden werden. Außerdem besteht die Möglichkeit für eine Seite, die Zeugen und Sachverständigen der Gegenseite im Rahmen eines Kreuzverhörs unter richterlicher Kontrolle zu befragen.
– Erzwingung der Vorlage von Beweisunterlagen[9]: Wie in Schiedsverfahren üblich, können die Parteien beim Richter die Vorlegung von Beweisunterlagen durch die Gegenseite beantragen, die letztere nicht aus freien Stücken vorgelegt hat. Um ausufernden Anträgen entgegenzuwirken, müssen die verlangten Unterlagen allerdings vom Antragsteller präzise identifiziert und spezifiziert werden.
– Kostenentscheidung: Den Parteivertretern wird im Rahmen ihrer Schlussplädoyers zusätzlich Zeit eingeräumt, um über die entstandenen Kosten detailliert zu berichten. Dies ist in Verfahren mit internationaler Beteiligung, in denen die Kosten naturgemäß höher sind, zu begrüßen.[10]
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Fazit:
Mit der Schaffung eines zweigliedrigen Instanzenzugs, in dem es möglich ist, auf moderne und international erprobte Beweisführungsmethoden zurückzugreifen, reagiert man in Frankreich adäquat auf die weiterwachsende Bedeutung internationaler Streitigkeiten. Als Nebeneffekt kommt hinzu, dass die Richter der Cour d’Appel, die gleichzeitig auch über die Anfechtung und Vollstreckung von Schiedssprüchen entscheiden[11], durch ihre Tätigkeit in der Internationalen Kammer selbst praktische Erfahrung mit schiedsrechtlichen Beweisführungsmethoden sammeln, was Ihnen im Rahmen ihrer Kontrollfunktion zugutekommt.
Da derzeit erst sehr wenige Zuständigkeitsklauseln vertraglich vereinbart worden sind, kann die Anwendung der Protokolle faktisch in vielen Fällen von einer Seite verhindert werden. Es wäre deshalb wünschenswert, dass sich die richterliche Praxis dahin entwickelt, dass beim Vorliegen internationaler Sachverhalte automatisch die Zuständigkeit der Internationalen Kammern eintritt.[12]
Bei Detlev Kühner und Jessica Noy-Gsell
[1] Die sogenannte CICAP (Chambre Internationale de la Cour d’Appel de Paris). Es handelt sich um die 16. Kammer des für wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten zuständigen Pol 5 der Pariser Cour d’Appel.
[2] Die Kammer ist seit dem 1. März 2018 funktionsfähig und hat am 15. Januar 2019 ihr erstes Sachurteil erlassen.
[3] Bemerkenswert ist, dass die beiden Beisitzer mehrjährige Erfahrung als Anwälte in internationalen Kanzleien mitbringen.
[4] Auf Ebene der Cour d’Appel ist seit dem 1. Januar 2019 zusätzlich die Zuständigkeit für die Anfechtung von Schiedssprüchen und deren Vollstreckung gegeben, die vorher bei einer anderen Kammer begründet war.
[5] Begründet wird dies damit, dass das Protokoll nicht unerhebliche Abweichungen vom Zivilverfahrensrecht beinhaltet.
[6] Dies gilt in Bezug auf gerichtlich bestellte Gutachter und von den Parteien benannte Privatgutachter.
[7] Zwar ermöglicht Art. 202 der Zivilprozessordnung prinzipiell die Einreichung von schriftlichen Zeugenaussagen, es wird hiervon aber in Praxis nur ganz selten Gebrauch gemacht, vor dem Hintergrund, dass üblicher Weise keine Zeugen geladen und gehört werden.
[8] Diese braucht aber in Abweichung von Art. 202 der Zivilprozessordnung nicht handschriftlich angefertigt werden.
[9] Die Möglichkeit eines Antrags bei Gericht auf Vorlage von Beweisunterlagen durch die Gegenseite ist auch in der Zivilprozessordnung vorgesehen. Hiervon wird allerdings in der normalen Gerichtspraxis kein Gebrauch gemacht.
[10] Ausdrücklich ist dies nur im Protokoll über das Verfahren vor der Cour d’Appel geregelt.
[11] Am 7. Januar 2019 ist die Zuständigkeit für die Anfechtung und Vollstreckung von Schiedssprüchen von der 1. Kammer des Pol 1 auf die 16. Kammer des Pol 5 übergegangen.
[12] Unter Umständen ist hierfür allerdings eine Anpassung des bestehenden gesetzlichen Rahmens erforderlich.
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